41 Jahre Rotpunkt im Frankenjura!
11.10.17
Der Todestag von Wolfgang Güllich hat Reiner Pickl, Mitbegründer des Rotpunktkletterns und Boss der Kletterschule Frankenjura, an ein weiteres Jubiläum erinnert: Vor ziemlich genau 40 Jahren stellten Kurt Albert und er das Rotpunktklettern in der Ausgabe 8/77 des damaligen Magazins „Alpinismus. Magazin für Bergsteiger, Wanderer und Skifahrer“ vor. Der Titel des Alpinismus-Kommentars der beiden lautete: „Ein Jahr Rotpunkt im Frankenjura“
Da Reiner das Original der Zeitschrift noch zuhause hatte, legte er den Artikel von damals kurzerhand auf den Scanner und schickte ihn uns zu. Bemerkenswert, dass der Beitrag trotz seiner Wichtigkeit für den gesamten Bergsport es nicht auf die Titelseite geschafft hatte. Aber dann doch nachvollziehbar, denn der Freiklettergedanke war damals noch nicht existent und vermutlich sprangen die Redakteure von damals schon über ihren Schatten, dem Thema im Innenteil so viel Raum zu widmen.
Reiner Pickls Kommentar zum Artikel aus heutiger Sicht: “Im Nachhinein ist unsere damalige Meinung ein ziemlicher Witz, dass die Neutourenmöglichkeiten fast völlig ausgeschöpft sind (Ende 2. Spalte). Damals standen im Bühlerführer vielleicht 3000 Routen. Allerdings sind die Routen noch von unten im Vorstieg gemacht worden.“
Das Magazin "Alpinismus" war in den 70er und Anfang der 80er Jahre das Leitmedium für Bergsport im deutschsprachigen Raum und ging in den 80er Jahren in das heute noch existierende „Alpin“-Magazin über. Hier der Text von damals:
“Ein Jahr Rotpunkt im Frankenjura
,,Rotpunkt am Beginn eines Kletterweges oder einer Variante bedeutet, es ist möglich, den Anstieg ohne Benutzung der Haken als Griffe oder Tritte oder sonstiger Hilfsmittel, die der Schwerkraft entgegenwirken, in freier Kletterei zu bewältigen. Haken, Legeschlingen, Klemmkeile usw. dienen also nur zur Sicherung, es darf auch nicht daran ausgeruht werden, gleich wenn man danach in die alte Kletterstellung zurückkehrt! (Der letzte Satz bedeutet eine Verschärfung der sächsischen Kletterregeln, die ja Haken und Legeschlingen als Ruhepunkte erlauben)". Dieser Satz, den wir, eine Gruppe fränkischer Kletterer, in die Wandbücher einiger vielbegangener Kletterwege des Frankenjuras schrieben, vor allem aber die kleinen roten Punkte erhitzten die Gemüter zahlreicher fränkischer Kletterer. Der Rotpunkt stieß auf heftigste Kritik. Viele Kletterer sahen nur noch rot und verkannten die Idee, die dahintersteckt. War die Punktiererei ein neuer Spleen, eine Schikane gedankenloser Schmierfinken? Keineswegs, es stecken reifliche Überlegungen und Diskussionen dahinter.
Entstanden ist der Zweifel am richtigen Weg, den das Frankenklettern bislang geht, nach unseren Erlebnissen im Elbsandsteingebirge. Wir sahen dort Anstiege, von denen man sich nicht recht vorstellen konnte, daß sie in freier, hilfsmittelloser Kletterei bewältigt worden sind. Beim Anblick dieser Routen dachten wir mit Wehmut an unsere Fränkische Schweiz. Da haben wir nun eines der schönsten Mittelgebirge Deutschlands, aber auch leider eines der besonders vernagelten. Ein Beispiel wäre die Gelbe Wand im Wiesenttal (Schwierigkeit VI,, + "). Obwohl dieser Anstieg mit etwa 15 Haken arg vernagelt ist, wird er mit VI+ bewertet und zählt zu den schwierigsten Touren im Frankenjura. Stünde die gleiche Wand in der Sächsischen Schweiz, dann würde sie mit drei (!) Sicherungsringen frei erklettert und mit dem Schwierigkeitsgrad Vlld eingestuft. Die sächsische Schwierigkeitsskala reicht heute bis Vlle. All diese Erkenntnisse wirkten auf uns Franken ziemlich deprimierend. Steigen wie im Elbsandsteingebirge, das war für uns etwas völlig Neues. Wir erlebten im sächsischen Sandstein eine neue Dimension, stilreines Klettern, das bei den Sachsen, bei den kalifornischen Yosemite-Kletterern und noch in einigen anderen Felsgebieten längst als so selbstverständlich gilt, daß es beinahe schon ein alter Hut ist! Ich wage gar nicht daran zu denken, was für Klettereien wir im Frankenjura hätten, wenn bei Erstbegehungen oder beim Einzementieren von Haken jede Möglichkeit der Freikletterei hinreichend bedacht worden wäre. Wir überlegten also, wie es wohl möglich wäre, eine solche Kletterethik in unserem Frankenjura anzuwenden. Ein Ausnageln der Kletterführen, bzw. das Entfernen überflüssiger Haken scheint fast unmöglich: Es gibt bereits zu viele einzementierte Haken, und man würde auf zu großen Widerstand seitens vieler fränkischer Kletterer stoßen. Sie kommen dabei mit Argumenten wie „Die Haken stecken seit 40 Jahren, die bleiben drin!", oder „ Es kann ja nicht jeder so gut sein, andere wollen den Weg auch machen!" usw. Eine weitere Möglichkeit besteht sicher in der Erstbegehung im sächsischen Stil. Aber die Möglichkeiten, Neutouren zu finden, ist fast völlig ausgeschöpft. Was man nicht erwarten konnte, hat man ernagelt. Also begannen wir, und werden damit fortfahren, bereits vorhandene Anstiege der fränkischen Jurafelsen in völlig freier Kletterei - „auf Rotpunkt" - zu versuchen. Die so begangenen Routen wurden mit einem roten Farbpunkt markiert. Wir waren erstaunt, was alles „auf Rotpunkt" möglich ist. Selbst einige Touren, die bisher als ausgesprochene Hakenleitern galten, erhielten ihren roten Punkt. Da tauchten Griffe und Tritte auf, die wir vorher nie wahrgenommen hatten. Man wird gezwungen, mehr mit Hirn und Konzentration zu steigen, um die richtige Kombination der vorhandenen Griffe und Tritte zu erfassen. Wir haben erkannt, daß nur beim Einhalten solcher Regeln eine Steigerung im Klettern erreicht werden kann! Endlich sehen alle, Freund wie „Feind", was für märchenhaft schöne Freiklettermöglichkeiten es im Frankenjura tatsächlich gibt. Um zu zeigen, was das Wort „Klettern" wirklich bedeutet, haben wir diese Punkte angebracht.
Unser Vorschlag „Rotpunkt" soll ein Stück sportlicher Ethik und fairen Klettergeistes auch ins Frankenklettern bringen. Nicht durch selbstherrliches Hakenherausschlagen über alle hinweg, wollen wir auch bei jenen dafür werben, die heute noch auf der anderen Seite stehen. Ein Jahr Rotpunkt im Frankenjura hat gezeigt, daß der Aufruf nicht nur auf taube Ohren stieß: Es haben sich zahlreiche Rotpunkt-Anhänger gefunden, vor allem unter den jüngeren Kletterern, in deren Händen die Zukunft unseres Frankenjura-Steigens liegt!
Kurt Albert und Reiner Pickl“
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